Wir Menschen beginnen im Alter von circa einem Jahr zu sprechen. Unsere Sprache ist ein wichtiges Ausdrucksmittel, sie stiftet Kontakt, sie stellt Sinn her, sie gehört einfach zu uns. Wenn wir sprechen, dann versprechen wir uns auch bisweilen. Die linguistische Forschung hat herausgefunden: Ungefähr alle zehn Minuten versprechen wir uns. Im Alltag gehen wir allermeist lässig darüber hinweg, manchmal merken wir nicht einmal, dass wir uns versprochen haben.
Kommt dir das bekannt vor?
Erstes Geheimnis: das Hirn und sein Fahrplan
Unser Hirn kreiert, so die Sprachforscherin Helen Leuninger, bereits vor dem eigentlichen Sprechakt einen „Fahrplan“ für das, was gesprochen werden soll. Zu diesem Fahrplan gehören Inhalt, Grammatik, Artikulation, Muskelspannung, Intonation. All das muss unser Gehirn steuern. Meistens tut es das ganz hervorragend. Wenn eine Störung im Fahrplan vorliegt, kommt es zu Versprechern. Das sind dann Verhaspler, vertauschte Buchstaben, Wortfindungsschwierigkeiten, Wortverdrehungen – oft sind die Versprecher für die Zuhörerinnen und Zuhörer eine willkommene Komik, für den Sprechenden jedoch unangenehm und peinlich.
Geht dir das auch so?
Ich bestellte neulich einen Milchkaffee, und der Barista gab alles, um einen schönen Milchschaum zu zaubern. Als der Kaffee fertig war, bat ich ihn um einen Deckel für den Becher, und er sagte: „Ach wie schade, ich habe mir soviel Schaum mit der Mühe gegeben!“ Wir lachten beide, und ich verzichtete auf den Deckel, da ich seine Barista-Ehre nicht kränken wollte – hatte er sich doch so viel Mühe mit dem Schaum gegeben.
Zweites Geheimnis: die Seele – immer wieder...
Was war passiert? Im Hirn war der Fahrplan gestört. Sigmund Freud wäre noch einen Schritt weitergegangen und hätte es als Blick in die Seele des Barista gedeutet. Freuds „Psychopathologie des Alltagslebens“ von 1904 ist ein grundlegendes Werk, das sich unter anderem mit sprachlichen Fehlleistungen beschäftigt. Ob es nun um einen gestörten Fahrplan oder den tieferen Blick in die Seele geht, das interessiert jemanden, die/der vor anderen spricht, erstmal nicht. Was in der Alltagskommunikation circa alle zehn Minuten passiert und nicht weiter tragisch ist, das bekommt in der Öffentlichkeit, auf einer Bühne, an einem Sprecherpult plötzlich ein zentnerschweres Gewicht. Und wen wundert es: Es passiert sehr viel häufiger, weil wir aufgeregt sind. Das Hirn hat Stress.
Und einem fällt nichts mehr ein, Sätze haben kein Ende mehr, der Kreislauf spielt verrückt und die Stimme versagt.
Bist du auch schon mal sprachlos geworden?
Drittes Geheimnis: Die Sprache ist ein Gummiband.
Wir können diese Situation des sich Versprechens vor anderen positiv umdeuten: Erstens sind Versprecher nicht schlimm, nur unsere Deutung macht sie zu etwas Unangenehmem, Peinlichem. Zweitens gibt es das Wort „Versprechen“ mit einem ganz anderen, hohen Sinn, nämlich dem Versprechen, das ich gebe. Ich verspreche etwas (und halte es hoffentlich), ich verspreche mich einem anderen Menschen. Die Sprache ist ein gewachsenes Werk, das wir formen, mit jedem Wort, das wir aussprechen, das wir erfinden. Und wenn wir öffentlich vor anderen sprechen, gibt es keinen Grund dafür, dass wir diese Kreativität an den Nagel hängen müssen – im Gegenteil. Mit der schönen, positiven Bedeutung von Versprechen entlasten wir auch unser Hirn. Das folgt dann ganz verlässlich dem Fahrplan.
Und nun noch ein aufbauendes Zitat zum Thema „Deutung“. Es kommt aus der Antike. Der griechische Philosoph Epiktet (50 n. Chr. – 138 n. Chr.) schrieb in seinem „Handbuch der stoischen Moral“: „Nicht die Dinge beunruhigen die Menschen, sondern die Meinungen, die sie den Dingen beimessen.“
Diese Meinungen, Wertungen sind es auch, die dafür sorgen, dass uns Versprecher peinlich sind und in der Folge dann für Angst vor dem Moment des Versprechens sorgen. Meinungen sind Wertungen, und sie sind Glaubenssätze, die es an den Stellen, wo sie uns hindern, idealerweise positiv umgedeutet werden sollten. Dabei helfe ich dir. Versprochen.
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